Die Schönheit der Dinge

„Jeder Schimmer natürlicher Inspiration erinnert uns daran, wahrzunehmen und wertzuschätzen, was uns gerade zu Füßen liegt, in all seiner flüchtigen Schönheit.“ (Beth Kempton)

Die Dinge, die uns umgeben, sollen schön sein, unserem Geschmack entsprechen, auch erschwinglich sein. Sie sollen ihre Funktion erfüllen und uns gut repräsentieren. 

Aber denken wir auch darüber nach, welche Wirkung sie auf uns haben sollen? Wie sie uns biochemisch und biophysikalisch beeinflussen? Wie wähle ich Materialien, die ich in meinem Zuhause um mich haben werde, aus? Das betrifft zunächst meine Möbel, auch die Raumoberflächen. Renoviere ich, oder baue ich, betrifft es auch Baustoffe. Wie unsere Nahrung und unsere Kleidung beeinflussen Materialien, die uns umgeben, unseren Organismus. Somit ist es wert über diese Frage der Auswahl nachzudenken.

Ein Material, ein Baustoff als Oberfläche, hat nicht nur haptische und optische Komponenten. Es besteht aus Rohstoffen, aus denen es verarbeitet ist, es übernimmt funktionale Eigenschaften, weist eine bestimmte Oberflächenbeschaffenheit auf, hat eine gewünschte oder natürliche Farbe und besitzt gegebenenfalls einen (Eigen-) Geruch. Einmal verbaut, agiert und reagiert es stets weiter. Materialien verhalten sich zum Innenraumklima, zur Feuchtigkeit, zur Temperatur; sie gehen chemische Prozesse ein, dünsten Bestandteile aus, nehmen Bestandteile aus der Luft auf und bestimmen damit zum großen Teil das Raumklima. Dieses wiederum beeinflusst die Behaglichkeit unserer Räume und die Wirkung auf unsere Gesundheit.

Wie kann ich das Material, das ich einsetze, verbaue, darin lebe, also aussuchen? Ich muss demnach viel über ein Material heraus bekommen, bevor ich mich entscheiden kann, es einzusetzen. 

Gehen wir also auf einige Auswahlkriterien und Parameter von Materialien ein.

Die Inhaltsstoffe

Wie (leider) viele Lebensmitteln und Kleidung sind Baustoffe industriell hergestellte Produkte. Sie können mehr oder weniger viele Inhaltsstoffe haben. Im Unterschied zu Lebensmitteln gibt es selten eine vollständige „Zutatenliste“, an der man erkennen kann, wieviele Inhaltsstoffe enthalten sind. Aus der Lebensmittelbranche kennen wir die sogenannten E-Nummern, eine Lebensmittelkennzeichnung der Zusatzstoffe1, die man z.B. für allergisierende Inhaltsstoffe ansehen sollte. Kleidung durchläuft im Herstellungsprozeß viele Schritte, in der auch chemische Substanzen eingesetzt werden. Dies gilt für Färbungen, das Gerben von Leder, spezielle Waschungen von Denim etc. Hier ist die Transparenz ein wenig diffuser und jedem mehr oder weniger selbst überlassen sich zu informieren. Mittlerweile gibt es zahlreiche Siegel und Zertifizierungen, die „giftfreie“ Herstellung oder Kleidung versprechen2. Zuletzt wurde seitens der Bundesregierung im September 2019 das Label Grüner Knopf3 für mehr Orientierung der Verbraucher zu ökologischen und sozialen Standards im Textilbereich ins Leben gerufen.

Für Baustoffe gibt es ebenfalls zahlreiche, auch ökologische und gesunde Baustoffe zertifizierende, Siegel wie natureplus4, für Gebäude zum Beispiel das IBN-Zertifikat für baubiologisch wertvolle Bauweisen5.

Im Zuge der Ökobilanzierung6, einer Betrachtung des Lebenszyklus von Produkten, die bei den gängigen Gebäudezertifizierungsprogrammen wie dem DGNB Siegel7 oder dem BNB Siegel8 (für Bundesbauten) auch erforderlich werden, werden Baustoffe auf Ihre Rohstoffe und Herstellungsweisen und die sich daraus ergebenden Umweltwirkungen geprüft. Dies wird mittlerweile in sogenannten Umweltproduktdeklarationen (EDP für environmental product declaration), in gewissem Maße aufzeigt. Viele Hersteller tuen sich allerdings nach wie vor schwer damit eine „Volldeklaration“ zu veröffentlichen, da oft das Firmengeheimnis oder der Know-How Schutz der speziellen Technologie hinter der Produktherstellung, die Priorität besitzt. 

So kommt es, dass Inhaltsstoffe verwendet werden, die ab gewissen Konzentrationen gesundheitsschädlich sein können oder der Umwelt schaden, weiterhin genutzt werden. Dies wird im Rahmen der Zertifizierungen anhand von Raumluftmessungen, die die Konzentration von Schadstoffen, z.B. VOC (volatile organic compounds – flüchtige kohlenstoffbasierte Schafstoffe) messen, überprüft. Jedoch gibt es zahlreiche Projekte, die keine Zertifizierung und damit Überprüfung der gesundheitsgefährdenden Stoffe im Gebäude, anstreben. 

Bauen Sie für sich selber – neu oder um – sollten Sie berücksichtigen, dass nicht nur ein Material den Innenraum belegt. Es gibt einen regelrechten „Cocktailmix“ von Inhaltsstoffen, die die Raumluftqualität bestimmen und in unserem Körper, einmal über die Atmung oder die Haut aufgenommen aufeinander reagieren und verschiedenste Metabolite verursachen können.9

Das Wesen der Dinge

Zurückkommend auf die Schönheit der Dinge, will ich anhand des Dreiklangs „gut-wahr-schön“ auf die gesunden Aspekte von Materialien eingehen. Für mich ist das Material, das gut, wahr und schön ist, oft auch gesund für uns und für die Umwelt. Platon und auch die indische Philosophie bedienen sich diesem Dreiklang um Leben und Kultur zu erklären. Auch neurobiologisch hängen die Begriffe zusammen, wie bei Manfred Spitzer in „Das Wahre, Schöne, Gute: Brücken zwischen Geist und Gehirn “ nachzulesen ist. Demzufolge ist Wahrheit „mit positiver Bewertung (und diese wiederum mit Schönheit) verknüpft, Falschheit entsprechend mit negativer Bewertung, bis hin zu körperlichem Unwohlsein.“ (Schattauer, 2009) Weiter heißt es darin: „Die bisher vorliegenden Daten sprechen für eine Überlappung der Verarbeitung von Gut und Schön im Gehirn.“

Der indische Philosoph Vivekananda drückt es wie folgt aus:

Was gut ist, ist auch wahr und schön.

Was wahr ist, ist auch gut und schön.

Was schön ist, ist auch gut und wahr.

(aus Fernlehrgang Baubiologie, Institut für Baubiologie + Nachhaltigkeit)

Die Schönheit des Materials liegt in seiner Wahrheit und in dem Guten, dass es uns und der Umwelt tut. Es hat 

  • auskömmlich bestenfalls nachwachsend zur Verfügung zu stehen, 
  • langlebig zu sein, 
  • wiederverwendbar oder kompostierbar und 
  • regional verfügbar zu sein, 

es hat 

  • in der Herstellung, 
  • im Transport 
  • am Einbauort und 
  • dem Rückbau 

mit wenig (Energie-) Aufwand verbunden zu sein 

und es soll am Abbau- und Herstellungsort weder 

  • Umwelt- noch 
  • soziale Probleme 

verursachen.

Das ist ein großes Paket an Dingen, die ein ökologisches und gesundes Material leisten muss, gerade in einer Zeit, in der vieles auf Schnelligkeit und „Kurzlebigkeit“ aufbaut. Doch Hochwertigkeit und Qualität sowie Muße beim Schaffen machen sich bezahlt. Was uns schlussendlich umgibt, formt, fördert, beeinflusst uns, ohne dass wir es wahrnehmen oder manchmal sogar wahrhaben wollen. 

Ein Raum, der stets „gute Luft“ hat, schöne haptische Oberflächen bietet und aus ehrlichen (wahren) Materialien besteht, ist in der Regel mit natürlichen Materialien belegt. So ist ein Parkett und eine lehmverputzte Wand, so sind Teppiche aus Naturfasern und Möbel aus Holz, Polsterungen aus Kokosfasern oder Naturlatex, Farben auf Naturbasis, Textilien aus Naturfasern, die Dinge, die die „Seele“ des Raumes ausmachen. Es sind Dinge, die gerade im Laufe der Zeit mit der entsprechenden Patina Ihren Wert steigern und Charakter erhalten, die Geschichten erzählen und zu uns gehören. Neben dem Pluspunkt, dass sie von Natur aus eher nicht gesundheitlich belasten, fördern sie mit ihrer Materialität und ihrer natürlichen Schönheit unser Wohlbefinden. 

Die Lehre des perfekt Unperfekten, Wabi Sabi, aus dem Japanischen, zelebriert dies quasi im perfekten Maße. Beth Kempton beschreibt dies sehr schön in Ihrem Buch Wabi Sabi. Die japanische Weisheit für ein perfekt unperfektes Leben (Lübbe, 2019): 

Das perfekt Unperfekte (Wabi-Sabi) „ist eine intuitive Erwiderung der Schönheit, welche die wahre Natur des Lebens widerspiegelt.“

weitere Literatur und Quellen:

https://www.neues-deutschland.de/artikel/10683.schafwolle-faengt-schadstoffe.html

https://publications.rwth-aachen.de/record/61250/files/Thome_Stefan.pdf

https://wissenwiki.de/Lehmputz

https://www.researchgate.net/publication/340378016_Lowtech_im_Gebaudebereich_Forschung_fur_die_Praxis_Band_21

https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/tag-der-biologischen-vielfalt-1754252

1https://www.lebensmittelverband.de/de/lebensmittel/inhaltsstoffe/zusatzstoffe/liste-lebensmittelzusatzstoffe-e-nummern abgerufen am 28.05.20

2https://utopia.de/ratgeber/siegel-kleidung-textilien-ohne-gift-textilratgeber-greenpeace/ abgerufen am 28.05.20

3https://www.gruener-knopf.de/index.html abgerufen am 28.05.20

4https://www.baubook.at/natureplus/?SW=32&lng=1 abgerufen am 28.05.20

5https://baubiologie.de/gutachten-und-zertifikate/ abgerufen am 28.05.20

6https://www.umweltbundesamt.de/themen/wirtschaft-konsum/produkte/oekobilanz abgerufen am 28.05.20

7https://www.dgnb-system.de/de/ abgerufen am 28.05.20

8https://www.bnb-nachhaltigesbauen.de/bewertungssystem.html abgerufen am 28.05.20

9https://www.researchgate.net/publication/330913721_Das_Holzschutzmittel_Dichlofluanid_-_ein_bisher_unterschatztes_Wohngift abgerufen am 28.05.20